Rollen im Rudel: der "vordere Kundschafter"

 

Der vordere Kundschafter ist eigentlich der direkte Mitarbeiter, Sekretär, des vorderen Leithundes. Er ist ein roter Hund, das heisst, sehr extrovertiert, sehr körperlich, sehr wild. Von allen Hunden hat er den meisten Vorwärtsdrang, Anita nennt diese Hunde auf Facebook die "ich bin dann mal weg-Hunde". 

 

Vordere Kundschafter sind ganz tolle Mitarbeiter und sind allzeit für alles bereit - wenn sie sich sicher sind, dass ihr Führer, ihr Leithund, auch wirklich etwas taugt. :-) Und das wird getestet und getestet und getestet.

Und wenn sie fertig getestet haben - dann wird ihnen langweilig und sie fangen wieder an zu testen. Immer Action, immer zünden. Ein solcher Hund kann wirklich Unruhe in ein Rudel bringen weil er permanent immer irgendwas zu diskutieren sucht. Ich nenne diese Hunde manchmal auch: "laufende Provokateure".

 

Diese Hunde provozieren permanent eine Reaktion und dazu sind sie dann aber auch noch wahnsinnig theatralisch. Sie wissen ja, was sie machen und wenn man diesem Verhalten dann entgegen tritt und ihnen eine Grenze aufzeigt (juhu, eine Grenze, ich kann sie überschreiten...) können sie dann auch so aussehen, als wären sie soeben verprügelt worden. Oh, sie sind Schauspieler. Viele Menschen fallen darauf auch rein, haben Mitleid (etwas, was es unter Hunden nicht gibt, das ist nichts anderes als eine ganz schwache Energie), was diese Hunde natürlich wohlwollend mitbekommen - und bereits wieder provozieren. Manchmal fallen sogar Hunde auf das Theater rein. Doch ein souveräner Leithund wird sich das nicht bieten lassen. 

 

Haben wir also eine Situation, wo ein Hund einen anderen immer wieder ärgert, dieser irgendwann genug hat, auf den drauf geht, ihm mal sagt, was Sache ist, derjenige, der geärgert hat dann heult und jault und tut, als würde er gleich sterben und alle Menschen rundum schon um das Leben dieses armen Tieres bangen - der andere "böse" Hund aber noch immer nicht aufhört, den einzuordnen. Dann, ja, dann haben wir wohl einen Leithund, der einem Kundschafter sagt, wo die Grenze ist. :-) Und der Kundschafter wird dann wahnsinnig beeindruckt aussehen, oh jeeee, das arme Tier. 10 Minuten später (höchstens 10 Minuten...) ist der aber bereits wieder am Zünden. 

 

Oft ist es leider so, dass vordere Kundschafter keinen starken Leithund vor sich haben und so "ausser Rand und Band sind". Und selbst wenn ein Leithund da wäre, der es schafft, sie einzugrenzen, haben wir ja dann noch die Besitzer, die dann eben Mitleid mit ihrem armen Hündchen haben.

 

So versucht dann ein solcher Hund nicht nur seinen Job, sondern auch den Job des vorderen Leithundes auszuführen. Dazu fehlt ihm aber die Kompetenz. Er wird dann oft hektisch, sehr ungebremst und manchmal auch aggressiv nach vorne, gegen Aussenreize. 

 

Hat man also einen vorderen Kundschafter in einem Rudel, mit einem starken vorderen Leithund, werden die beiden ein super Team abgegeben - man muss aber als Mensch aufpassen, den Anschluss nicht zu verlieren. Hier zeigt sich dann auch, ob man mit dem vorderen Leithund eine gute Beziehung hat, denn wenn nicht, dann werden die beiden einfach zusammen abzwitschern und die Welt alleine erobern. Gerade in dem Fall also, ist die Anschaffung eines Zweithundes oft nicht ideal. Also man sollte nicht die Idee haben, sich zu einem vorderen Leithund einfach noch einen vorderen Führhund zu holen und "dann passt das dann schon". Ja, ja, für die Hunde passt es dann schon, das stimmt... :-) 

 

Als Mensch muss ich wirklich wissen, wenn ich mich auf einen vorderen Kundschafter einlasse, habe ich einen Hund vor mir, der erstens sehr temperamentvoll und lauffreudig, zweitens sehr körperlich und drittens sehr hinterfragend ist. Ein Hund dieses Types freut sich über jede Einschränkung, über jede Regel - um sie zu hinterfragen und zu brechen! :-) Jede Grenze ist da, um überschritten zu werden, jede Ansage wird hinterfragt und "ausdiskutiert", wenn man es denn zulässt. 

 

Arbeitet man einen solchen Hund mit Dynamik und Hektik, wird er genauso antworten. Jede schnelle Bewegung, jede Dynamik kommt diesem Hund recht um gleich wieder zu zünden. Er braucht also auch von Seiten des Menschen unbedingt Ruhe! Zurechtweisen ja, aber ruhig. Eingrenzen ja, unbedingt aber ruhig! Zündet dieser Hund und der Mensch wird hektisch: viel Spass! Dann geht die Rakete ab! 

 

Diese Hunde lieben alles, was mit Tempo zu tun hat. Sie lieben es, am Fahrrad zu laufen, vielleicht sogar zu ziehen, beim Joggen mitzugehen, Sucharbeit auf grossem Radius auszuführen. Auch für Agility sind sie gut geeignet, da sie auch auf grosse Distanzen gut arbeiten. Für Arbeiten "am Mann", BH, Unterordnung sind sie eher weniger zu haben, da ihnen dies einfach zu nahe ist. 

 

Dieser Hundetyp eignet sich vorallem auch sehr gut für alle Arten von Suchspielen. Diese Hunde sind auch die, welche im Rudel "auskundschaften", irgendwelche Funde dann dem Leithund melden. Also gerade für Sanitätshundearbeit sind diese Hunde prädestiniert. Suchen, finden, zurück zum Besitzer gehen und den Fund melden. Das ist die perfekte Arbeit für diesen Hundetypen. Ich habe festgestellt, dass viele Jagdhunde-Typen Kundschafter sind. Macht Sinn, denn die jagdliche Arbeit, gerade bei der Jagd auf kleinere Tiere (Vögel, Hasen...) ist eigentlich genau das: Suchen, Anzeigen, Warten, Apportieren. 

 

Wenn im Rudel ein Hund ein Rennspiel zündet und dabei auch liebend gern den Hasen spielt, ist das mit grosser Wahrscheinlichkeit ein vorderer Kundschafter. Oft versucht er dann auch, einen Polizisten mitzuziehen. Die beiden machen zusammen das "Lauf und Stop Spiel". Kundschafter zieht Polizisten mit, bremst ihn aus. Zieht ihn wieder mit, bremst ihn aus. So können die beiden dann ein super Team werden. Achtung, dieses Spiel ist ein ganz anderes als das "ich hetze Dich-Spiel". Denn hier wird oft ein gelber Hund gejagt von einem Roten. 

 

Das selbe Spiel macht auch oft der vordere Leithund oder der Teamplayer mit dem roten Kundschafter. Mitziehen, ausbremsen, mitziehen, ausbremsen. 

 

Ok, oft ist es aber auch so, dass der Kundschafter einfach rennt und rennt und rennt und das ganze Rudel versucht, diesen Irren irgendwie auszubremsen. :-)

 

Das alles ist aber nichts anderes als ein Test, mit dem der Kundschafter herausfindet, was sein Rudel so drauf hat. Oft macht er (im Idealfall erst auf Freigabe vom vorderen Leithund) diesen Test auch mit fremden Hunden. So kann er (und das Rudel, was natürlich alles mitbekommt) testen, wie der fremde Hund so drauf ist.

 

Wie kann ich als Mensch diesem Hund gerecht werden? Ich muss ruhig sein, gelassen, am besten wie ein Buddha. :-) der Mensch sollte sich vom seinem roten Kundschafter nicht zünden lassen, auf seine Hektik nicht eingehen. Ruhig und souverän aber auch mit der nötigen Klarheit die Grenzen aufzeigen. Und zwar immer wieder, ruhig und bestimmt und wirklich dranbleiben! Und nicht denken, wenn es an einem Tag geklappt hat, dass es nun passt. Ne, ne, der vordere Kundschafter wird bereits am nächsten Tag wieder hinterfragen, ob es immer noch so ist...

 

Die Grenzen bei diesem Hund sind nicht 2 meter neben dem Menschen sondern können auch 10, 20 meter sein. Wenn ein Aufbau, ein Fundemant vorhanden ist. Aber sie müssen existieren. Hat dieser Hund keine Führung, keine Grenzen, kann er gefährlich werden... Vorallem wenn er eine gewisse Grösse und eine gewisse Gewichtsklasse hat. Denn ohne Grenze, ohne Führung, ohne eine "rote Linie" wird dieser Hund regelmässig weit über sein (nicht vorhandenes) Ziel hinausschiessen. Er braucht eine klare Definition von seinem Ziel. 

 

Achtung, bei so einem Hund muss man auch aufpassen, dass der nicht auf gelbe Hunde zubrettert und die "klein macht". Solche Hunde rennen nämlich gerne ungebremst in andere Hunde rein - vorallem, wenn man das eben zulässt und sie keine Grenzen gesetzt bekommen. Ähnlich wie die roten Polizisten. Es sind halt extrovertierte, schnelle, vorwärtsdenkende Hunde!