Seminar mit Martin Rütter, 30.08.2014 in Basel

Das Seminar war gut besucht, die Kongresshalle voll, dennoch war Martin auf der Bühne sehr präsent und trotz der vielen Menschen war das ganze irgendwie "persönlich". Sehr angenehm. 
Was ich an Martin auch am Fernsehen sehr schätze ist seine offene, direkte, ehrlich Art. Er bringt die Sache auf den Punkt, erklärt einfach und verständlich, so dass man ihm wirklich gut folgen kann. Schön war auch seine Aussage, dass diejenigen, welche ständig mit irgendwelchen unverständlichen Fachausdrücken um sich schmeissen müssen, sich meist dahinter verstecken und oft vielleicht gar nicht so viel Ahnung haben... 

Es wurden viele sehr spannende und auch brisante Themen angesprochen. Toll war, dass jederzeit dazwischen geredet werden durfte, respektive Fragen gestellt werden konnten, die er dann gleich beantwortete - wenn sie zum Thema passten. Gewisse Leute bringen es ja immer wieder fertig, total abzuschweifen und wünschen sich in so einem Seminar schnell eine persönliche Beratung... 

Dazu gab es auch einige Videos zu sehen, auf denen Körpersprache klar ersichtlich war. Interessante Beispiele, sowas macht immer Spass. 
Zu den Filmen kann ich mich aber hier nicht äussern, macht ja keinen Sinn wenn man sie nicht selber sehen kann.

Ein kleiner Auszug aus den spannendesten Themen, die Martin besprach: 

- Auslastung der Hunde: Hunde stammen vom Wolf ab und brauchen Bewegung. Viel Bewegung. Viele Verhaltensauffälligkeiten basieren auf Unterbeschäftigung. Vorallem Körperliche. Und Martin sprach sich sehr klar dafür aus, die Hunde zu bewegen und nicht dem Trend zu folgen, die Hunde nur noch mit "Kopfarbeit auszulasten". Also Klickertraining mal als Ergänzung ist wunderbar aber die Entwicklung, heute zu sagen "es regnet, komm wir laufen nur 30 Minuten und klickern dafür ne Stunde" ist Blödsinn! 

- Vermenschlichung: natürlich das Dauerbrennthema. Wenn Menschen mit Hunden sprechen als wären sie Kinder, wenn Hunde die Bedürfnisse der Menschen ausleben müssen anstatt Hunde sein zu dürfen. Wenn Menschen ihren ganzen Tagesablauf nur noch an den Hund anpassen... Hunde leben mit uns, Hunde bereichern unser Leben. Oft  ist es aber so, dass die Hunde unser Leben steuern und regeln. Und das ist definitiv der falsche Weg. Hunde sollen sich an UNS (am Menschen) orientieren, nicht am Tagesablauf. Also, immer wieder mal was anders machen und den Hund auch mal Hund sein lassen. Hunde müssen auch nicht den ganzen Tag beachtet, gestreichelt und bequatscht werden.

- Kastration: (vorallem bezugnehmend auf Rüden, da es bei Hündinnen nicht so ein brisantes Thema zu sein scheint und eine Hündin, während ihrer paar kritischen Tage gut kontrolliert werden kann, im Gegensatz zu Rüden, die "immer bereit" sind). Natürlich, als Hundetrainer, der so dermassen in der Öffentlichkeit steht, ist es schlecht, wenn man sich bei so einem Thema zu klar ausspricht. Denn schnell hat man Fronten im Rücken. Aber die Aussage, dass viele Hunde, die einfach immer wieder andere Hunde (auch kastrierte Rüden) besteigen einfach verhaltensgestört sind und Stress haben und daher wirklich besser kastriert werden sollen, ist ziemlich eindeutig. Es ist schon Fakt, dass ein unkastrierter Rüde, der einen Kastraten besteigt, schlicht und einfach gestört ist. Es liegt nicht am Kastraten! Es liegt einfach daran, dass gewisse Rüden alles besteigen, was nicht wie ein souveräner, unkastrierter Rüde riecht - genauso werden ja auch kastrierte Hündinnen bestiegen! Und für alle, die den Eindruck haben, der Rüde würde sich total verändern und von den anderen Hunden nicht mehr ernst genommen werden, wenn er kastiert ist gibt es folgendes: 
An Dingos wurden Versuche gemacht, die männlichen Rudelführer der jeweiligen Gruppe wurden kastriert - die Stellung im Rudel hatte sich dadurch in keinem der Fälle verändert. 

Um einen Hund gesellschaftstauglich zu halten/führen, ist eine Kastration oft sehr sinnvoll - wenngleich sie natürlich eine gute Beziehung und Erziehung nicht wettmacht. Oft sind unkastrierte Rüden, die alles besteigen, auch nur frustriert, weil sie halt sonst keinen Job haben. Also, gerade diese Hunde unbedingt körperlich müde machen! 

- Hunde einfach machen lassen: hier sprach sich Martin zum Glück auch klar dafür aus, dass Hunde auf keinen Fall bei Begegnungen "einfach machen" sollen, dass sehr wohl der Mensch die Hunde führen und bei aufkommenden Streitigkeiten eingreifen soll. Gerade Welpen / unsichere Hunde müssen auf jeden Fall lernen, dass der Mensch die Situation regelt und sie ihm vertrauen können. Also, auch hier ganz klar eine Gegenmeinung zur Fraktion: "die machen das schon selber aus!"

- ein riesen Thema war die Überzüchtung der Hunde. Die armen Kreaturen, die keinerlei Chancen mehr haben, richtig zu kommunizieren, weil ihnen einfach die Mittel fehlen. So erklärte Martin sehr anschaulich, wie ein Ridgeback und ein Mops aufeinandertreffen und was für Probleme das geben kann. Also gelacht haben wir, das kann man sagen. :-) wenngleich natürlich die Hintergründe absolut stimmig sind. Wir Menschen sollten uns schon mehr überlegen, was wir uns an Hunden anschaffen. Diese extrem felligen, extrem bulligen, schnauzen/ohren/schwanzlosen Hunde, das ist ein Problem. Und man macht den Hunden wirklich keinen Gefallen mit solchen "ästethischen" Vorlieben, die natürlich wir Menschen wieder haben und daraus wirklich bedauerliche Kreaturen schaffen. 

- ein interessantes Video eines Hundesportlers (IPO) mit seinem Rottweiler zeigten, was auch heute noch auf vielen Hundeplätzen gang und gäbe ist. Fusslaufen, der Hund muss nonstop den Menschen anschauen (extrem schädlich für Hals und Genick, was sich dann auf den ganzen Hundekörper auswirkt), dieses extreme "immer knapp vor dem Menschen laufen", diese extreme Fronstellung, die so in der Natur niemals vorkommt und wenn, dann nur als absolut dominante Haltung...  Wenn man mit dem Hund natürlich so arbeitet, muss man sich nicht wundern, wenn er einen als Führer nicht ernst nimmt. Spannend war dann auch, dass sich daraufhin eine Frau aus dem Publikum recht pikiert meldete und meinte "also ich arbeite auch so mit meinem Hund, wir haben aber absolut kein Dominanzproblem". Hmmmm, warum hatte sie sich wohl so angegriffen gefühlt? :-) 

Ganz zum Schluss möchte ich noch auf die interessante Situation hinweisen,die sich im Seminar ergab. Martin erklärte, dass es auf jeden Fall Sinn macht, seinen Hund bei Begegnungen auch mal abzuschirmen, vorallem wenn man merkt, dass er unsicher ist. Situation mit einem jungen Chihuahua und einem grossen Hund, der auf den zubrettert. Natürlich kann man IN SO EINER SITUATION seinen Kleinhund mal auf den Arm nehmen, einfach damit er nicht geplättet wird. 
Aber wie haben gewisse Leute im Publikum das interpretiert? "Der Rütter hat gesagt, man soll kleine Hunde bei Begegnungen immer auf den Arm nehmen..." 

Genau, so läufts und das erinnerte mich dann wieder an meinen Alltag als Trainerin. Denn diese Interpretationen, oh ja, die sind mir auch bekannt. :-) 
Ein tolles Seminar, sehr spannend, lehrreich, gut organisiert. Gerne wieder einmal! Danke Martin!