Ganz so so einfach war es für Ena und mich auch nicht, dieses Seminar. Ein bisschen angespannt waren wir schon... Wird auch nichts passieren? Wir haben doch einige Anmeldungen und klar, Bedingung war, die Hunde mussten von uns eingeschätzt worden sein - dennoch ist auch dies keine Garantie, dass nichts passiert..
Und auch Lemmy, unser einziger starker Leithund, von dem ja alle lernen sollten. Wie wird er sich verhalten? Er ist noch jung, unkastriert, hat nicht wirklich viel Erfahrungen im Freilauf und wurde zu allem Übel wenige Tage vor dem Seminar noch von einem wirklich gestörten Golden Retriever aus dem Hinterhalt schwer angegriffen...
Doch wir vertrauten ihm und obwohl wir zu Beginn nicht wirklich einen Plan hatten, welche Hunde wir genau zusammen laufen lassen, war eines klar: wir fangen ruhig an. Lemmy soll die Chance haben, sich "einzuarbeiten".
Klar war: Lemmy sollten erst (fast) alle Hunde vorgestellt werden, damit er seine Arbeit als Zentralhund zeigen kann, danach kann man kombinieren. Spontan, wie es passt und wie die Teilnehmer es wünschen.
So stellten wir ihm dann nach der Theorie (wo wir nochmals im Detail die einzelnen Rollen im Rudel, ihre Aufgaben und Fährigkeiten durchgingen) gleich mal eine nette Hündin vor. Malu, eine junge Labradoodle Dame. Wuslig und flink doch sehr sanft und fein zu arbeiten.
Lemmy beeidruckte sie schon zu Beginn mit seiner Präsenz, immer wieder wunderschön zu sehen wie er bei fast allen Hunden stehen blieb, sich duckte, etwas voran schlich, sich dann hinlegte und in fast allen Fällen liegen blieb und den Hund, leicht geduckt an sich heranzuziehen versuchte. War der Hund nahe, stellt er sich auf und empfing ihn. Natürlich mit sehr viel Präsenz
aber gaaaanz weichem Wedeln mit der Friedensfahne.
Malu spielte erst etwas "Fangis", wollte sich nicht recht beschnuppern lassen, war sehr beeindruckt von Lemmy’s Präsenz. Er trieb sie etwas vor sich her, grenzte sie dann nur körpersprachlich ein, kam sie zur Ruhe und liess ihn heran, verteilte er freundlich Sozialgesten (siehe Bild)
Als hinterer Wächter hätte Malu in einem Rudel auch nicht so viel mit Lemmy zu tun, sie wäre in enger Verbindung zum hinteren Leithund (hatten wir leider keinen dabei).
Der nächste Kandidat war Baloo. Ein Border Mix, kastr. Rüde, hinterer Kundschafter aber ein sehr freundlicher und souveräner. Die beiden fanden sich ganz toll und Baloo bezirzte Lemmy und versuchte ihn zu motovieren, ihm zu folgen. War wirklich süss zu sehen, wie Baloo Lemmy als Qualitätstester umgarnte und rückwärts durch die Gegend hüpfte.
Kelly, ein vorderer Wächter. Unschwer als Labrador zu erkennen. Sie läuft auch bei mir im Rudel mit und arbeitet sehr schön mit Nupri (Zentralhund) zusammen. Von Lemmy war sie schweeeeeeer beeindruckt. Er empfing sie freundlich, lud sie ein, ihr war das alles aber gar nicht geheuer, sie machte einen Bogen, züngelte und wäre am liebsten im Erdboden verschwunden.
Lemmy stellte sie dann, sie liess sich kurz beschnuppern, erkannte auch, dass sie da einen tollen Chef vor sich hat und tat das, was Kelly (und viele andere Wächter auch, vorallem die extrovertierten) ganz gerne machen. Sie rannte herum, begrüsste alle Leute, bretterte in die Stühle, pinkelte, winselte und versuchte gleichzeitig, irgendwie Lemmy zu testen... Da sie das alles gleichzeitig versuchte und nicht etwa nacheinander, entstand das, was in solchen Fällen immer entsteht: Chaos... :-) Lemmy schien leicht überfordert, blieb dann einfach immer ruhig dran und bedrängte sie nicht.
Lemmy bekam dann eine kleine Pause und Nupri, unser zweiter Zentralhund, durfte sich mit den Intos ein bisschen "versumen". Cleo in Braun, introvertierter Kundschafter und Indra, ein Wächterchen. Ruhig, friedlich, respektvoll und nicht allzu körperlich - so präsentieren sind introvertierte Hunde, wenn sie noch nicht, anhand unnötiger Erfahrung mit extrovertierten Hunden, von denen sie platt gemacht wurden, gelernt haben, vorwärts zu gehen. Die ganzen sogenannten "Angstbeisser" sind unserer Erfahrung nach immer introvertierte Hunde, die nie kompetenten Schutz erhielten und sich dann angewöhnt haben, vorwärts zu gehen.
Kleines Austesten zwischen Kundschafter und Wächter. Wächter fordert den Kundschafter heraus, Cleo liess sich aber nicht wirklich auf Provokationen ein.
Lio, ein weiterer hinterer Kundschafter (der sich aber immer seeeeehr wichtig und kompetent fühlt, gleichzeitig aber auch gerne eher mit seiner schnösligen Art Unruhe ins Spiel bringt), kommt noch dazu und Nupri stellt ihn sofort kurz: "Junge, kein Geschnösel hier, keine Wichtigtuereien!"
Ganz lassen kann er es dann doch nicht und arbeitet gleich mal über die Ressource Wasser um seine "Macht" zu zeigen. Klare Botschaft an Cleo (Hinterer Kundschafter vs hinterer Kundschafter ;-) ) MEIN Wasser!
Man beachte die hochgezogenen Lefzen und die starre Körperhaltung, inklusive dem fixierenden Blick. Cleo weicht sofort zurück: "schon gut, schon gut, mir ist der Durst soeben vergangen..."
Indra beobachtet das Ganze genau und kommt zur Erkenntnis:" aha, das Braune da ist also recht leicht zu beeindrucken..."
Nochmals eine sehr schöne und sanfte Begegnung zwischen Zentralhund und introvertiertem Wächterchen Jo-Joy. Die beiden begegnen sich mit viel Respekt (der Wächter hat seine Kundschafter-Hündin - Rosi - noch dabei und die beiden arbeiten super zusammen. Sie hat sich elegant aus der Affäre gezogen, er arbeitet wunderbar als ihr Bodyguard), umkreisen sich. Immer wieder schön zu sehen, bei beiden Zentralhunden, das weiche einladende Wedeln mit hoch getragenem Schwanz. Keine Spannung, einfach nur ein sanftes Einladen / Empfangen / Präsentieren.
Nun kommt nochmal ein introvertierter Wächter hinzu. Und wie das so ist mit den Wächtern: beide kläffen sich mal an, beide versuchen sich mit Imponiergehabe und Scheinangriffen zu beeindrucken. Hier war nun allerdings Nupri noch dabei, der die Leitung übernahm und sehr einladend auf Tosca zumarschierte. Jo-Joy, der Sheltie-Wächter, arbeitet hier bereits mit Nupri zusammen.
Wächer zu Wächter: "geh weg!" "Nein, geh Du weg!" "Du, nein Du!"
Nupri hinter Jo-Joy versucht etwas Ruhe reinzubringen und Rosi, die Kundschafterin (ganz links mit hoher Rute) ist ebenfalls bereit, einzugreifen, sollte es denn nötig sein. Spannend war hier zu sehen, wie schnell Nupri und die beiden Shelties gleich zusammen arbeiteten, obwohl auch die sich vorher das erste Mal trafen und nur etwa 5 Minuten auf dem Platz waren.
Auch das, typisch Wächterchen. Sie brauchen etwas, was sie schützen können, fühlen sich stark, wenn es um Ressourcen geht (nicht nur Wächter tun dies, natürlich nicht, aber viele...) Hier wollte Nupri nochmals freundlich hin und endlich mal erfahren, wer dieses braune Mädel denn ist, Tosca's Ansage: "hau ab, hau ab!" Und Nupri baut sich auf: "na, na, na... nur mal langsam meine Liebe. Ich wollte nur gucken, wer Du bist, entspann dich..." Durch sein Aufbauen und seine Präsenz schaffte er es, dass sie dann auch rückwärts wich.
Dann bekam Lemmy wieder Arbeit. Wirklich Arbeit. Harte Arbeit. Sehr harte Arbeit. :-) In Form von Lea, einem jungen und sehr dynamischen extrovertierten Kundschafter. Und wie diese Hunde gerne (vorallem in jungen Jahren) nun mal so sind, es rumpelte einmal kurz, der Boden bebte wie auf der Pferderennbahn und schon war sie da. Mit Schwung. Halloooooo?! Ich bin Lea und wer bist Du? Kannst Du es mit mir aufnehmen? Ich bin jung, schnell und völlig wild und bräuchte eigentlich dringend jemanden, der mich runterfährt. Na?
Schreiben wir es mal so: er hat es tatsächlich geschafft! Es dauerte aber. War aber wunderbar zu sehen und zu beobachten. Er bemerkte schnell, dass er sich erstmal auf ihre Energie einlassen muss, um sie dort abzuholen und dann langsam runterzubringen. Also scheuchte er sie etwas über den Platz, liess sich auf ihre Rennspiele aber nur bedingt und im Kraftsparmodus ein, immer so, dass es für sie spannend und reizvoll genug, für ihn aber "stromsparend" war. Niemals rannte er ihr einfach hinterher wie irr, er schnitt ihr sehr gezielt jeweils den Weg ab und bremste sie aus. Oben auf dem Bild hat er es tatsächlich geschafft, sie mal zu parken!
Und hier oben im Bild hat er sie gestoppt und zieht sie nun mit. Der Blick zurpück in der Bewegung ist eindeutig: komm mit! Und Lea folgte...
Irgendwann kam er dann auch auf die Idee, über Ressourcen zu arbeiten. Das hat er tatsächlich an diesem Nachmittag mit nur einem Hund gemacht. Wie Ena das auf dem Film so schön erklärt:
Er nimmt einen Ast, erfreut sich wahnsinnig ob dieser Beute und ist sehr dafür besorgt, das Ding so spannend zu machen, dass Lea es unbedingt will. Natürlich mit der klaren Absicht, dass sie es nicht bekommen wird. Nun, einen Kundschafter mit sowas zu zünden, ist meist nicht schwer, sie wollen alles...
Er düste also dann mit dem Ast davon, Lea hinterher, Lemmy allerdings sehr darauf bedacht, dass sie es nicht bekommt.
Dann legte er ihn hin, guckte nochmals warnend zu Lea und lief dann - so ganz unbeteiligt " kurz weg um zu schnüffeln... Lea wäre nicht Lea, ein Vorderer Kundschafter wäre kein vorderer Kundschafter, wenn er sich nicht denken würde, dass jetzt das DIE Gelegenheit ist an den Ast heran zu kommen...
Wieviel Erfolg sie hatte, zeigt das obere Bild. Klare Grenze, klare Ansage. MEIN AST. Als sie dann ruhiger wurde, durfte sie ihn übrigens auch haben. Lemmy interessierte sich dann nicht mehr für den Ast.
Lea und Lemmy am kabbeln am Boden, sehr wild, sehr körperlich, wie extrovertierte halt sind. Aber: Lea kam nach und nach wirklich zur Ruhe. Saubere Arbeit, Lemmy! Wenn man auch noch bedenkt, dass ja sonst eigentlich der vordere Leithund der direkte Entscheidungsträger (und Ruhepol) des vorderen Kundschafters ist.
Lemmy bekam die dringend benötigte Pause und unsere Teilnehmer kamen in den Genuss zu erleben, wie sich 2 vordere Kundschafter begegnen.
Charly vs Lea.
Beide bretten aufeinander zu, "hallooo, wer bist Du?" "Egal, Du?" Auch egal. Aber komm, lass uns einfach rennen und uns rumschubsen..."
(ich glaube, vordere Kundschafter wären in der Menschenwelt die perfekten Rugby-Spieler...)
Nochfolgend also einige typische Sequenzen aus einem Treffen von extrovertierten Kundschaftern, das typische Bild, bei dem fast alle Hundehalter sagen: ach, ist das tooooooll, wie die zusammen spielen und toben können. Da wird mein Hund müde...
Ja, das ist so. Körperlich sind sie irgendwann müde. Irgendwann... Sie haben aber soviel Adrenalin prodiziert, dass sie zwar müde, nicht aber entspannt sind. Die beiden haben sicher Spass. Aber beide pushen sich gegenseitig immer weiter hoch. Und das verknüpfen sie miteinander. Und nicht nur miteinander sondern mit allen Hunden. Vordere Kundschafter, die sowas immer wieder erleben, gehen genauso tramplig mit allen Hunden um, weil sie bei jeder Hundebegegnung genau diese Action erwarten. Treffen die jetzt auf introvertierte Hunde, ist das für den Intro (wenn er nicht geschützt wird) ein absolutes Trauma!!
Auf gleicher Höhe rennen, jeder will schneller sein, beide versuchen sich gegenseitig in den Hals zu beissen. Typisch für 2 gleiche Rollen, in dem Fall Kundschafter.
Keine Berührungsängste. Sowas machen Intros zusammen nur, wenn sie sich wirklich kennen und mögen.
Typisches Steigen, Hengstkampf. Frontal aufeinander zu. Für die Menschen immer super "härzig" anzuschauen (sie tanzen, jöööööö) mit unserem Wissen jedoch ein Alarmzeichen, denn wir haben hier 2 gleichstarke und rollengleiche Hunde.
Rammen, ausbremsen, aufeinander und übereinander springen, keinerlei körperliche Hemmungen. Da prallt die Wucht zweier Hunde von je (geschätzt) zwischen 25-35 kg aufeinander...
Wieder das typische "auf gleicher Höhe ausbremsen, rammen, schubsen, springen".
Fakt ist: Charly und Lea wurden nur phasenweise kurz ruhig, weil beide einfach ein Sauerstoffzelt brauchten... :-) Nicht aber, weil einer der beiden BEWUSST Ruhe herstellte. Im Gegenteil. Sie zündeten und zeukelten sich immer wieder gegenseitig an und pushten sich weiter hoch.
Lemmy hatte ja einen Moment Pause und nun kam noch die kritische Begegnung des Seminars. Charly und Lemmy.
Lemmy war im ersten Moment etwas überrumpelt, denn genau jetzt tauchte unerwartet seine Familie auf dem Platz auf (wir hatten ihn ja "ausgeliehen"). Und dies hat den Burschen doch kurz aus der Fassung gebracht denn natürlich war er dann einen Moment abgelenkt und als Charly auf ihn zustürmte, hat er das irgendwie verpasst und konnte ihn nicht wirklich (wie alle anderen) in Emfang nehmen. Plötzlich stand Charly also sehr steif da und stellte den Leithund:
Lemmy hat aber auch dies souverän gemeistert. Blieb sitzen, ruhig aber sehr präsent und bestimmt, liess sich beschnuppern, gab aber klar zu verstehen: ich bin Entscheidungsträger, ich bin freundlich aber wenn du es wirklich wissen willst, dann kann ich auch anders... Überlegs dir also gut!
Das tat Charly dann auch.
Sehr souverän von Lemmy, Charly den Rücken zuzudrehen. Das ist Stärke. Und das ist eben das "Grün", diese Grundpräsenz, die Leithunde haben! Wahnsinn.
Auch hier hat Lemmy sofort bemerkt, dass er über Bewegung viel erreichen kann. Also hat er einfach angefangen, Charly etwas zu bewegen, damit der seinen Stress auch abbauen kann. Man könnte auch sagen: Lemmy longiert Charly. Und Charly als starker Kundschafter "unterwirft" sich nicht in dem Sinne, wie manche Leute das erwarten würden, nein, er hat Stärke, Würde und weiss auch, wer er ist - und das anerkennt Lemmy auch. Er lässt ihm seine Stärke und Würde, gibt ihm nur klar zu verstehen: RESPEKT!
So verlief dann auch diese Begegnung zum Abschluss friedlich.
Ein tolles Seminar, tolle Szenen, viel Lernmaterial. Ich behaupte: es schreit nach Wiederholung! :-) Hoffentlich sind im Herbst dann viele wieder dabei.