Lio, mein Professor Neunmalklug


 


Nachdem mal wieder einer meiner Pflegehunde in ein neues Zuhause zog, machte ich mich erneut auf die Suche nach einem würdigen Nachfolger. Da ich noch immer in der Ausbildung steckte, und langsam aber sicher in Richtung Abschlussprüfungen steuerte, sollte es natürlich wieder ‚nur‘ ein Teilzeit-Hund werden. Denn schliesslich wusste ich ja auch noch nicht, wie es nach meinem Abschluss weitergehen würde. Und obwohl ich immer wieder mit Verkaufsinseraten liebäugelte, schrieb ich dann total vernünftig und pflichtbewusst ein Inserat zu meiner Suche nach einem passenden Pflegehund (ich muss gestehen, dass ich es nicht lassen konnte, darin die Option einer späteren Übernahme zu erwähnen). Ich bekam einige Anfragen, irgendwie hat für mich aber nichts so richtig gepasst. Bis dann, wer hätte es gedacht, diese eine Mail bei mir eintraf. 

 

Lio, ein 3jähriger Rüde, der schweren Herzens ein neues Zuhause suchte. Er sei eher unsicher, käme um die Kinder schlecht zur Ruhe, habe teilweise Schwierigkeiten mit fremden Menschen und wäre unterfordert. Ein Border Collie x Appenzeller. Eine Mischung aus exakt den beiden Hunderassen, welche mir garantiert als Letztes ins Haus kommen würden. Und eigentlich war ich ja sowieso gar nicht auf der Suche nach einem eigenen Hund. Trotzdem vereinbarten wir einen Kennenlerntermin. Ganz unverbindlich, versteht sich. 

 

Lio war wie erwartet eher zurückhaltend und als ich ihm dann auf dem Spaziergang das erste mal mit einer klaren Korrektur zu verstehen gab, dass er vor mir nichts verloren hatte, fiel er aus allen Wolken. Sowas war ihm wohl noch nie passiert, dass er von einem Menschen eine solche Grenze gesetzt bekam. Er lief für den Rest des Spaziergangs mit 10m Abstand hinter uns und jedesmal wenn ich mich umdrehte, blieb er stehen. Für Aussenstehende wohl ein etwas ungewohntes Bild, wie er uns da mit vorsichtigen Schritten und einem etwas übertriebenen Höflichkeitsabstand folgte, mit etwas Verständnis unserer Philosophie aber einfach ein Hund, der intensiv über eine ihm gesetzte Grenze nachdachte und diese auch akzeptierte.

 

Nachdem ich Lio mithilfe von Danae und Nupri auf Herz und Nieren geprüft hatte und er ein paar mal Probeweise bei mir war, war es um mich geschehen. Die Ära Lio nahm ihren Lauf.

Es stellte sich heraus, dass Lio ein hinterer Kundschafter ist. Einer, der ganz gerne mal seine Grenzen überschreiten möchte und sich einiges kompetenter fühlt als er es in Wirklichkeit ist. 

 

Obwohl er eine gewisse Eigenkompetenz hat und auch ganz genau weiss, wer er ist und was er will, braucht er klare Grenzen. Er ist Neuem gegenüber immer sehr skeptisch und vorsichtig und versucht dann auch gerne mal selber zu regeln, wenn ihm niemand diese Verantwortung abnimmt. Allerdings sind seine Entscheidungen dann nicht unbedingt gesellschaftskonform ;-) Bekommt er klare Führung, ist er aber grundsätzlich sehr kooperativ und unglaublich fein in der Kommunikation. Oft reicht ein Blick - allerdings fühlt er sich jeweils auch von meinen unbeabsichtigten Blicken angesprochen, und sucht dann gerne mal irgendwo nach irgendwas, weil ich ihn offensichtlich aus Versehen dazu aufgefordert habe. Ausserdem ist er sehr hartnäckig, was sich in der Arbeit im Rudel natürlich als gut erweist, in unserer Zusammenarbeit aber durchaus auch Nerven kostet. 

 

Wenn es ums Testen seiner Grenzen geht, ist er meist sehr subtil und charmant. Oftmals werde ich von Aussenstehenden schräg angeschaut, weil ich Lio in ihren Augen grundlos korrigiere. Aber wehe man wird in eben diesen Kleinigkeiten nachlässig, dann hat der Professor sofort wieder das Zepter in der Hand und riecht die grosse Freiheit inklusive aller Gefahren, die er im Alleingang aus der Welt schaffen möchte ;-) 

 

Lio liebt die Nasenarbeit und ist unglaublich geschickt darin. Er öffnet nicht nur Schubladen oder zieht an Schnüren, um an sein Dummy zu gelangen, sondern er sucht sich im Dickicht auch jeweils den angenehmsten und besten Weg, auch wenn dies nicht der Direkteste ist. Ihm bei der Arbeit zuzusehen macht total Spass und man merkt richtig, dass er sich dabei etwas überlegt.

 

Konditionierung hingegen ist nicht so sein Ding. Dort pusht er sehr schnell auf und spielt dann völlig übertrieben sein ganzes Repertoire an möglichen Erwartungen ab oder motzt mich an.

 

Alles in Allem ist er für mich der perfekte Partner und Lehrer, um mein „hündisch“ zu perfektionieren und er erinnert mich immer wieder daran, dass sich das Leben im Hier und Jetzt abspielt.