Rollen im Rudel: der "vordere Leithund"

 

Ich gebe ehrlich zu: vordere Leithunde kenne ich nicht wirklich viele. 

 

Allgemein sind Leithunde nicht immer einfach zu erkennen, oft sitzen sie im Tierheim, weil es halt, gerade für "Hundesport-denkende" nicht einfache Hunde sind und: auch ein Leithund ist ein Opportunist, heisst, man kann diese je nach dem auch super mit Futter "manipulieren" und damit verlieren sie jegliche Kompetenz. Dazu auch das Video von Maja Nowak, "Dressur, das Experiment", wo sie schön zeigt, wie auch ihr Raida sich beinflussen lässt von Futter... Letztendlich aber nicht mehr das ist, was er eigentlich wäre.

 

Also, der vordere Leithund ist ein extrovertierter, starker Hund, der gerne weit voraus läuft. Er zeichnet sich aus durch eine enorme Wachheit, er hat sehr feine Antennen für Aussenreize jeglicher Art, die von vorne (!) kommen. Er ist sehr nach vorne orientiert und oft interessiert es ihn herzlich wenig, was hinter ihm passiert. Diese Hunde nehmen wie gesagt Aussenreize von vorne wahr und bewerten sie. Heisst, sie bleiben meist stehen und machen sich ein Bild von der Sache. Einen solchen Hund in dem Moment zu sich rufen zu wollen, ist kaum möglich. Da empfiehlt es sich, mit ihm so zu komminizieren und ihm eine Grenze zu setzen, dass er eben einfach stehen bleibt. Das akzeptieren diese Hunde meistens sehr gut, weil es eben ihrer Natur entspricht. Man kann dann hingehen, sie "abholen" und gemeinsam mit ihnen den Reiz bewerten, respektive als Mensch die Kontrolle übernehmen. 

 

Hat man also einen vorderen Leithund, ist es a) wichtig, ihn bereits als Welpen / Junghund die Reize beobachten und bewerten zu lassen (ansonsten kann er später damit nicht umgehen und wird kein souveräner Hund), was oft auch eine gewisse Zeit, Geduld und Ruhe braucht, und b) ihn auch ernst und für kompetent zu nehmen. Diese Hunde wissen, was sie wollen und das sollte man als Mensch auch, sonst wird man einen solchen Hund nie mental erreichen können. Er hat nämlich immer einen Plan. 


Wenn ein solcher Hund geerdet, gefestigt und gut aufgebaut wurde, kann er diese Reize auch wirklich gut bewerten und trifft meistens (auch in den Augen von uns Menschen) vernünftige Entscheidungen. Ein souveräner vorderer Leithund ist nicht auf Streit aus, er baut sich bei Hundebegegnungen auf, macht klar, wer er ist (und ein "normaler" Hund wird ihn auch anerkennen), wenn er nicht anerkannt wird, wird er versuchen, über sein "grün" (seine Präsenz, Ausstrahlung, Blick) den anderen einzuordnen, wenn dies nicht geht, kanns auch mal richtig krachen! Denn der vordere Leithund ist auch rot. Also, körperlich.  


Meist lassen diese Hunde andere Hunde auch auf sich zukommen. Der Leithund baut sich auf, "stellt sich vor" und der andere Hund wird ihm, mit dem nötigen Respekt, entgegen treten. 

 

Typisch Leithund ist er eigentlich eher faul. Leithunde haben ja "Personal" und arbeiten eher wenig selber und wenn, dann nur, wenn es für sie wirklich Sinn macht. Also kann ein solcher Hund, wenn er fähige Mitarbeiter hat, auch diese zu dem Reiz hinschicken. Darum ist es auch absolut realistisch, dass ich als Mensch in dem Moment den Part des Mitarbeiters übernehme und den Aussenreiz, den mein vorderer Leithund mir anzeigt, bewerte. 

 

Ein vorderer Leithund ist gerade auch in Hundegruppen (und bereits als Welpe beim Züchter) immer etwas ausserhalb. Er ist nicht der Hund, der sich mitten zwischen den anderen Welpen balgt. Er beobachtet das Geschehen lieber mit einer gewissen Distanz. Diesem Hund tut man auch absolut keinen Gefallen, ihn in einer Welpengruppe zu den anderen hinzuschicken, "damit er endlich mal spielen geht". Erfährt ein Vorderer Leithund eine solche Behandlung, die absolut nicht seinem Wesen entspricht, kann es schon passieren, dass er dann sehr unsouverän und manchmal auch gefährlich wird! 

 

Führe ich einen solchen Hund als Menschen alleine, ist es wichtig, ihm die Zeit zu geben, Reize zu bewerten. Desweiteren wird dieser Hund immer gerne vor mir laufen, was aber nicht heisst, dass er nicht auch Begrenzungen akzeptieren muss. Dieser Typ Hund ist sehr eigenständig unterwegs, er macht sein Ding, kann oft auch sehr ignorant und überlegen sein. Er weiss was er macht, er weiss, dass er es kann und er weiss auch, dass seine Sinne besser sind, als die des Menschen. Mit so einem Hund wird man einen souveränen Begleiter an seiner Seite haben, wenn man ihn respektiert, ihm gewisse Freiheiten gibt, wenn man ihm aber auch klar machen kann, dass man selbst, als Mensch, ein guter "Polizist" für ihn ist, ihm also gewisse Dinge auch vom Leib hält, gewisse Dinge auch für ihn ausführt.


Desweiteren sollten Menschen, die mit einem solchen Hund zusammen leben, sehr schnell lernen, von den konventionellen Hundeschulmethoden weg zu kommen. Sie müssen lernen, den Hund zu verstehen, sich mit ihm mental zu verbinden, mit ihm GEMEINSAM unterwegs zu sein. Ein solcher Hund kann seinem Menschen den Wald zeigen - und umgekehrt. Aber mit so einem Hund unterwegs sein und dabei mit der Freundin quasseln, da wird dieser Hund bald einfach alleine sein Ding machen. Denn er hat immer einen Plan. Beziehung? Nicht wirklich... 

 

Also ein vorderer Leithund soll merken, dass der Mensch mental bei ihm ist, Aussenreize bewerten kann und sich dann auf ihn verlassen. Denn auch wenn diese Hunde, wenn sie souverän sind, oft "sinnvolle" (aus Sicht des Menschen, der Hund macht eh nichts, was ihm nicht sinnvoll erscheint) Entscheidungen treffen, sind diese nicht ganz immer konform mit unserer "Zivilisation".

 

Für Hundesport kann ein vorderer Leithund sich eignen, wenn er wirklich einen Sinn darin sieht. Aber da muss man schon gute Überzeugungsarbeit leisten.

 

Apropos überzeugen: diese Hunde sind nicht für etwas zu überreden, man kann sie nur überzeugen. Überzeugen mit Ruhe, Geduld, Beharrlichkeit, Souveränität. Natürlich können sie auch auf Futter ansprechen und man könnte den Eindruck haben, es klappt alles wunderbar. Sieht man genauer hin, wird man aber schnell erkennen, dass der vordere Leithund seinen Menschen "erzogen" hat, ihn manipuliert - und nicht umgekehrt. :-)

 

Und spätestens dann, wenn dieser Hund einen "wichtigeren Termin" hat als Würstchen zu fressen, ist er weg...  Und kommt auch erst dann wieder, wenn ER es für richtig findet. Und selbstverständlich hat er bis dann auch nicht vergessen, dass da noch ein Würstchen auf ihn wartet - und fordert das dann natürlich auf seine souveräne aber sehr beharrliche und bestimmte Art ein...