Rollen im Rudel: der "vordere Polizist"

 

Der extrovertierte Polizist ist ein Hund, den ich bei Anamnesen eigentlich immer recht schnell erkenne. Was die ganze Angelegenheit auch durchaus vereinfacht, ist die Tatsache, dass seeeeehr viele rote Polizisten in schweizer Haushalten leben! :-)

Kommt der Hund aufs Gelände, versucht er oft gleich 10 Sachen gleichzeitig zu erledigen. Er schiesst erst mal los, kaum von der Leine... Dann will er die Lage peilen, schnüffeln, pinkeln, einen fremden Hund verbellen, die fremden Personen abchecken - gleichzeitig! 

 

Sieht lustig aus, das sind dann auch die Hunde, die im Zickzack, schnüffelnd, bellend und pinkelnd durch die Gegend rennen. Diese Hunde wollen alles gleichzeitig, fangen 10 Sachen gleichzeitig an, bringen aber nichts zu Ende. 

 

Ein Leithund ist ruhig, präsent, klar. Er geht gezielt von a nach b und wenn er schnüffelt, dann schnüffelt er, bis er wirklich fertig ist. Der Polizist? Ne. Der hat die Ruhe nicht. Während der an einem Ort schnüffelt, ist eine andere Stelle auch noch interessant und dann kommt ihm auch noch in den Sinn, dass er erst 6 Mal gepinkelt hat in 2 Minuten, das geht ja gar nicht und oooooh, da liegt noch ein Baumstamm, den kann man im Vorbeilaufen auch noch etwas zurechtrücken.

 

Aber Achtung, an die Leute, die immer gerne "Schema F" hätten. Nein, ein Hund muss nicht darum ein Polizist / Wächter sein, nur weil er viel pinkelt. Man muss wirklich immer das GESAMTBILD anschauen... 

 

Natürlich, auch hier wieder spielt auch die Rasse, die Haltung, das Alter eine Rolle. Ein extrovertierter Bernhardiner als Polizist ist sicher anders unterwegs als ein extrovertierter Jack Russel Terrier-Polizist. Und ja, gerade bei den Terriern gibt es recht viele Polizisten. 

 

Wenn man sich überlegt, was die Funktion des Polizistes in einem arbeitenden Rudel ist, muss man sich über dieses Verhalten allerdings nicht wundern. Der Polizist hat im Rudel eigentlich NULL eigene Kompetenz. Er darf sich für nichts selber freigeben, er hat immer entweder einen Leithund, der ihm sagt, was er soll (oder meistens nicht soll) oder einen Kundschafter, der ihn mitzieht.

 

Der Polizist / Wächter hat als wichtigste Aufgabe, das Rudel zu informieren, sobald irgendwas komisch ist. Das sind sehr wachsame und reaktionsschnelle Hunde, allzeit bereit. Viele Polizisten bellen natürlich auch gerne und viel, klar, sie müssen ja auch eben das Rudel warnen. Wobei Achtung, auch hier wieder: bitte nicht verallgemeinern. Nur weil ein Hund viel bellt, muss das kein Polizist sein und es gibt tatsächlich auch solche Hunde, die kaum bellen. Diese arbeiten nur über Präsenz, Körpersprache . Und ja, selbstverständlich kann auch jeder andere Hundetyp bellen. Auch da macht die Rasse viel aus. Kleine Hunde bellen meist öfter als Grosse, gewisse Rassen bellen ständig, andere kaum. Egal, welche Rolle sie haben. 

 

Der Wächter meldet also, wenn etwas ist, hat dann aber nicht die Kompetenz, selbst zu handeln sondern ist darauf angewiesen, dass ein Hund mit Führungsqualitäten diesen Reiz dann bewertet und ihm (falls nötig) die Freigabe gibt, z.B. den fremden Hund zu vertreiben. Und das ist genau wichtig für Menschen, die so einen Hund besitzen. Dieser Typ Hund braucht von allen am meisten Führung. Und vorallem Eingrenzung nach vorne. Ein Polizist, der die Idee hat, alles selber regeln zu müssen weil sein Mensch nicht fähig ist - gute Nacht! Das kann dann in schweren Beissereien, Angriffen auf Menschen enden. Gerade der extrovertierte Polizist ist ein körperlicher Hund, der "blufft" nicht nur, der haut auch gerne mal die Zähne ins Fleisch. Und ich erwähne es gerne nochmals: der rote Polizist hat als Aufgabe, den Leithund zu schützen! Also wenn ein solcher Hund im Rudel einen fremden Hund wahrnimmt, wird er sein Rudel schützen, er wird den fremden Hund vertreiben wollen. Normalerweise dann, wenn der Leithund ihn freigibt, respektive, der Kundschafter ihn in "Absprache" mit dem Leithund frei gibt oder mitzieht.

Und das muss ich als Mensch einfach wissen. Ich behaupte inzwischen, viele Menschen, die einen Hund haben, der wie blöd auf andere zurennt und die anblafft, die sind im stolzen Besitze eines (ich muss betonen: führungslosen!) roten Polizisten. Herzliche Gratulation. Ein toller Hund, er braucht aber Führung. Ohne Freigabe des Leithundes/ Menschen, hat der nicht vorwärts zu gehen! Wenn Ihr mit so einem Hund einen introvertierten Polizisten antrifft, findet der das richtig blöd - und Frauchen auch, wenn sie es denn versteht. 

 

Viele Polizisten neigen auch dazu, Herrchen oder Frauchen zu verteidigen. Klar, auch diesen Job hat dieser Hund im Rudel. Er beschützt den Leithund, blockt Aussenreize ab. Aber, und hier kommt das grosse ABER nochmals: der Leithund definiert, wann beschützt und abgeblockt wird - nicht der Polizist. Heisst, wenn ich als Mensch so einen Hund bei mir habe und der Hund selbst entscheidet, wer an mich ran darf und wer nicht, dann habe ich ein kleines oder grosses Problem. :-) 

 

Da dieser Hundetyp sehr eng mit dem Teamplayer zusammarbeitet, ist er auch darauf programmiert, nahe zu bleiben. Der vordere Polizist läuft gerne etwas vor dem Menschen - das kann aber sehr nahe sein. Diese Hunde bleiben, wenn sie Führung bekommen, gerne nahe bei ihren Menschen. Sie nehmen die Energie sehr gut auf und eben, wehe, wenn ich unsicher oder nicht präsent bin, dann beschützt dieser Hund mich sofort. 

 

Tolle Hunde für alles, sie sind für alles und schnell zu begeistert, nehmen Führung sehr gut an. Eigentlich, so finde ich, für Hundesport egal welcher Art, die besten Hunde. Das ist wohl auch der Grund, dass es viele rote Polizisten gibt. Vorallem dann, wenn sie nahe beim Menschen arbeiten dürfen. Für Übungen weiter weg, sind die Kundschafter besser geeignet. Auch für Schutzdienst sind extrovertierte Polizisten super, da die eben auch gerne körperlich werden, einen starken Beschützertrieb haben, keine Hemmungen haben, zu kämpfen, dennoch aber Führung gut annehmen. Vorallem: Führung unbedingt brauchen. 

 

Diese Hunde kann man aber leider auch sehr gut manipulieren. 100x die gleiche Übung, der Polizist hinterfragt es nicht. Hauptsache arbeiten, Hauptsache was tun. Diese Hunde werden leider oft auch zu Tode getrickst oder sonst verheizt...  Und wenn sie in Welpenstunden dabei sind, die nicht gut geführt werden (also die meisten...) dann lernen sie sehr schnell, andere Hunde zu mobben. 

 

Sie sind geniale Mitarbeiter, allzeit bereit, Energie und Ausdauer ohne Ende. Aber genau darum ist es enorm wichtig, diesen Hunden wirklich klar zu machen, wann ist Arbeit angesagt und wann nicht...