Rollen im Rudel: der "hintere Leithund"

 

Hintere Leithunde sind die introvertierten Leithunde. Während der vordere Leithund einen sehr starken Vorwärtsdrang hat, sich extrem nach Vorne orientiert und eigentlich sehr wenig Interesse dran hat, zu wissen,was hinter ihm passiert, so hat der hintere Leithund nur wenig Kompetenz nach vorne. Denn was vor ihm passiert, dafür hat er ja seinen Sekretär, seinen Polizisten, der ihm Unangenehmes vom Leib hält. 

 

Er ist nach hinten orientiert und hat auch wirklich erstaunlich gute Sinne, die Dinge, die von hinten kommen, wahrzunehmen. Und, wenn er stabil ist, auch zu bewerten. 

 

Meine Erfahrung mit hinteren Leithunden hat gezeigt, dass dies oft sehr langsame Hunde sind. Ein Hund, der wie irr angerast kommt, wenn man ihn ruft, ist mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit kein hinterer Leithund. Sie lassen es gerne gemütlich angehen, eigentlich muss man als Mensch immer ein bisschen auf sie warten... 

 

Sie sind nicht die schnellsten, weder in den Bewegungen, schon gar nicht im Denken. Sie brauchen lange, überlegen sich alles sehr lange. Und treffen dann aber, wenn sie gefestigt sind, auch "gute" Entscheidungen. 

 

Hier kommt aber genau der springende Punkt: in unserer Gesellschaft, wo immer alles schnell gehen muss, immer Hektik herrscht und man ja auch mit dem kleinen Welpen ständig im Stress ist, da bekommt der hintere Leithund ein Problem. Denn schon als Welpe ist er nicht sehr schnell, sehr vorsichtig, misstrauisch. Dieser Hund sieht einen Menschen auf dem Feld arbeiten, bleibt stehen und staunt. Und das kann dauern... Minutenlang. Die meisten Menschen lassen diesem Hund diese Zeit nicht, zerren ihn weiter. Was dazu führt, dass dieser Hundetyp vieles gar nicht wirklich verarbeiten kann und konnte (ja, der hat halt wirklich so lange!) und dann wird dieser Hundetyp, gerade wenn er noch ohne zuverlässigen Polizisten unterwegs ist, ein Hund, der echt gefährlich werden kann. 

Er ist dann nicht souverän, ist nicht gefestigt, hat zwar Kompetenzen, die er ausleben möchte, kann aber Reize nicht verarbeiten. Dies kann dazu führen, dass diese Hunde plötzlich angstaggressiv / unsicher werden. Sie gehen Menschen an, jagen Radfahrer, verbellen alles, was ihnen nicht geheuer ist (und das ist vieles...). 

 

Ich kann den Menschen nur raten, wenn sie so einen Hund haben, gerade als Welpen: lasst diesem Tier Zeit! Ja, es kann sein, das man dann auf einem Spaziergang vielleicht 2 Stunden für 200 meter braucht - aber glaubt mir, es zahlt sich aus. Ihr habt dann einen super starken, wesensfesten Hund, der sich durch nichts, aber wirklich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt! 

 

Und hey: mal ein bisschen bremsen, etwas herunterfahren, plötzlich Dinge sehen und erkennen (die Musterung eines Blattes, die Schnecke am Wegrand, die einen gerade an den eigenen Hund erinnert, die Tautropfen am Gras...), die man früher nie wahrgenommen hat - das ist genial! Man selbst fährt runter, wird ruhig, wird geerdet, wird heruntergefahren. Und das tut echt gut. Wenn Ihr also so einen Hund habt, nehmt seine Botschaft an! 

 

Dieser Hundetyp ist wie gesagt eher ruhig, besonnen, manchmal faul. Leithund halt. :-) Wenn ihn etwas 100% überzeugt, dann kann er auch mal Power entwickeln. Aber meistens ist er ein gelassener Buddha, der im Garten in der Sonne liegt und chillt. Diese Hunde brauchen meistens keine Gewaltsmärsche, lockere Spaziergänge, auch mal eine Wanderung, na klar. Aber jeden Tag 20 km am Fahrrad - nein. Hundesport für diesen Hundetypen? Neeee... Was er sicher immer gut machen wird, ist "Platz bleib".  :-) 

 

Mit anderen Hunden ist er vorsichtig, aber hat schon seine Kompetenzen, er ist ein Leithund und präsentiert sich auch. Er sucht keinen Streit, möchte aber schon, dass die anderen ihm den nötigen Respekt zollen. Er ist aber nicht der Hund, der sich mitten im Trubel aufhält. Er ist eher der stille Beobachter ausserhalb des Rudels. Der es aber schon schätzt, wenn sein Polizist in seiner Nähe ist und über seinen Schlaf wacht... 

 

Auch diese Hunde finde ich recht gute Anfängerhunde - wenn man eben in der Welpen / Junghundezeit einige Dinge beachtet und die auch umsetzt. Ansonsten kann man sich schnell einen Problemhund an die Leine holen!

Wird dieser Hund unsicher oder hektisch geführt, wird er genauso. Diese Hunde können extreme Unsicherheiten entwickeln und sind auf ihre Art auch stur: So kann er sich manchmal auch an Dingen extrem "festbeissen", ihn dann vom Gegenteil zu überzeugen, braucht von Seiten des Menschen sehr viel Ruhe, Gelassenheit und Sicherheit. 

 

Sie sind sicher keine Hunde für Menschen, die sich eine verrückte Agility-Sportmaschine kaufen wollen oder Ambitionen für Canin Cross oder Sanitätshundearbeit haben. 

Natürlich kann man diesen Hund auch über Leckerlis zu Tode konditionieren. Schade ist nur, dass er dann seine Kompetenz verliert und die Dinge gar nicht mehr bewerten will und kann. Und so gar nicht mehr der Hund sein kann, der er eigentlich wäre. 

 

Und eins ist sicher: dieser Typ Hund weiss sehr genau, was er will und was nicht. Und wenn er etwas nicht will, dann viel Spass, ihn vom Gegenteil zu üerzeugen.... :-)