Nupri, der ballverrückte Langstreckenläufer
      

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Meine Hündin Kylja und ich waren seit 4 Jahren ein super Team. Gedanken zu einem Zweithund hatte ich selten, zumal sich Kylja’s Interesse an Bekanntschaften mit anderen Hunden eher in Grenzen hielt und ich ja auch nur ein Mensch bin und viele Menschen Veränderungen nicht unbedingt schätzen - vorallem nicht, wenn ja alles rund läuft. 

 

Doch wie so oft kam alles anders, als geplant.

Im Frühling 2007 zog Nupri ein. Geboren im September 2006 auf einem Bauernhof, ein reinrassiger Unfallwelpe, Sohn eines Nachbarborders, der noch schnell die Hündin während ihrer 1. Läufigkeit deckte, bevor er später von einem Baum erschlagen wurde (zumindest wurden diese Geschichten so weitergegeben…).

Wie auch immer, die Gene dieses als Welpe doch eher hässlichen Tieres, der mehr einem Eisbär als einem Hund glich (zumindest, wenn man nur den Kopf sah…) schienen durchaus vielversprechend.

 

Die Info, dass die verbliebenen 3 Welpen alsbald eingeschläfert würden, veranlasste dann doch ein Team von mehreren netten Frauen, sie zu retten. Nupri wurde also in seinen ersten Lebenswochen fleissig zwischen diesen Frauen hin und her geschoben, bis er dann auf grossen Umwegen, als schon fast pubertierender Nothund, bei Kylja und mir landete.

 

Das erste was mir an dem Babyface auffiel war sein dermassen arroganter Blick - und seine weissen Wimpern unterstrichen den auch noch. 

 

Ich sagte immer spöttisch: „wenn Kylja guckt, dann ist das ein bittender, flehender Blick. Wenn Nupri guckt, ist es ein fordernder Blick mit mindestens 3 Ausrufezeichen!“ 

 

 

Vielleicht, jaaaaa, vielleicht hätte ich damals schon was merken können…


Heute, nach vielen Jahren Weiterbildung und Beobachtung, Erkennen der Hundetypen, ist mir einiges klar. Dieser Blick unterscheidet unter anderem einen Hund vom Typ „Mitarbeiter“ von einem Leithund… 

Vielleicht war es gut, dass ich dies damals noch nicht verstand, wer weiss, ob Nupri die Chance dann überhaupt bekommen, ich diese enorme Herausforderung angenommen hätte. 

 

Kylja akzeptierte den Burschen erstaunlich gut und schnell. Die beiden waren schnell ein gutes Team. Die beiden…  Klar. Später wurde mir ja dann auch klar, dass ich einen Zentralhund/Teamplayer und einen vorderen Polizisten/ Wächter vereint hatte. Die beiden sind in einem Rudel enge Mitarbeiter. Das hat geklappt. Nun, und meine Rolle? Die war irgendwie nicht vorhanden, ich schwebte im Niemandsland. 

 

Kylja und Nupri: ein super Team. Kylja und ich. Ebenfalls ein Dreamteam! Nupri und ich… hmmm… Team? Neeee... Er hat mich geduldet... 

 

So ein arroganter Sack! Dieser Blick... diese weissen Wimpern... Eine dynamische Mischung aus Genie und Wahnsinn. Seeeehr dynamisch!

 

Diesen Hund motivieren?    Dreht er total auf.

Loben?                              Korrektur an den Menschen erfolgt unverzüglich.

Tricksen?                           Hund wird kopflos (und ich kriege Kopfweh)

Agility?                              Hund hat ein anderes Navi als ich

 

Ja herrje, was kann man mit dem Tier denn anfangen ausser sich über seinen arroganten Blick zu ärgern? Nichts…

 

Oder doch? Schafe hüten? Nupri fand es witzig… Die Schafe weniger… Er sprengte quer in die Herde und war begeistert, Schäfer, Schafe und ich sprachlos… Ok, die Schafe konnten sich noch ein schwaches „Määääääh“ abringen.

Kommentar vom Schäfer: „da müsstest Du mit dem Elektrohalsband ran, der macht, was er will, rotzfrecher Sack, kann aber gut werden, er geht gut auf Distanz, das brauchts auch...“ Toll... 

 

Damit war das Thema abgehakt, ich hatte allerdings noch ein Problem mehr, es war nämlich während mehrerer Wochen kaum noch möglich, mit diesem arrogant-Blick-Tier an einer Schafherde normal vorbeizulaufen. hatte ihm schon Spass gemacht, das Schöfli scheuchen. Wir hatten seinen Trieb geweckt. Grandiose Idee! Eine Schafherde, glücklicherweise gerade in Biel-Benken nahe meiner Arbeitsstelle grasend, wurde dann zu unserem wichtigsten Gassi-Ziel, wir verbrachten viel Zeit zusammen und nach 3 Wochen konnte ich sämtliche Herdenmitglieder ebenfalls an ihrem Blick auseinanderhalten und mein Hund konnte sich wieder einigermassen gesittet benehmen. 

 

Doch was nun?  Dummyarbeit? Longieren? Zughundesport? Yes! Da ist er im Element. Selbständiges Arbeiten, auf Distanz, ohne zuviel Druck, mit viel Bewegung und Power. Das sind seine Hobbys! 

 

Aber gut… Bring das Tier dazu, mit Dir zu kooperieren… 

Zu lasch?                                            Hund macht, was er will.

Konditionierungen mit Futter und Ball?   Hund dreht total auf.

Zuviel Druck?                                       Hund läuft entweder davon und                                                                    wartet dann beim Auto oder erstarrt

 

Toll, so macht das richtig Spass…  Gut, immerhin wusste ich dann nach dem Einzug von Nupri noch mehr, wie sehr ich Kylja liebte und wie toll und leicht zu führen sie war. Diese Erkenntnis half mir jedoch in Bezug auf die grandiose Beziehung von Nupri und mir herzlich wenig. 

 

Ich war mit meinen Nerven am Ende und der Gedanke, ihn wegzugeben, schlich sich ein. Als einige Tage später Interessenten auf meinem Wasserbüffelsofa sassen und sich in Nupri’s Blick verliebten (wie kann man nur?!?) und ihn gleich mitnehmen wollten, wurde mir plötzlich klar: Moment! Eigentlich will ich den gar nicht weggeben! Weil diese Leute, null Erfahrung, die werden dem eh nie gerecht! Das kann nicht klappen. Und vorallem: dieses Tier war ja nicht zufällig bei mir gelandet. Also, Kopf hoch, weitermachen! 

 

Das Problem an der ganzen Sache: ich befand mich halt nach wie vor im Konditionierungsmodus.  Monolog: ich sage, Hund macht (in Nupri’s Fall - Resultat siehe oben)

 

Es gab 2 Schlüsselerlebnisse, die mich dazu brachten, (aus eigenem Überlebenswille) die Konditionierungen endgültig aufzugeben:

 

Situation 1: Agitraining bei einem Toptrainer. Nach div. Versuchen der ganzen Gruppe, den Hund dazu zu bringen, meine Koordinaten anzunehmen, etwas genervte Aussage des Trainers: "das ist ein arroganter Sack, der nimmt dich überhaupt nicht ernst, macht, was er will! Hör auf mit Agi, das bringt nix!"

 

Situation 2: Tricks üben (jeder Border muss ja mindestens 50 Tricks beherrschen, sind ja soooo schlaue Hunde...). Der Trick war: Hund springt durch meine Arme, die einen Ring bilden. Jo, Ring wurde gebildet, Hund schaute, kam, sprang - Hirnerschütterung! Ich, nicht der Hund. 

Fazit: solche Tricks mit diesem Hund sind lebensgefährlich - Konditionierungen grundsätzlich klappen nicht. Wir brauchen einen Plan B. 

 

Zum guten Glück hatte ich auch damals schon einen guten Instinkt für das Wesen von Tieren und war niemals ausschliesslich bei der Würstli-Fraktion unterwegs. Tabus gehörten für mich immer dazu, einen Hund zu führen und nicht zu bestechen ebenfalls. Also begann ich mit Nupri viel mehr über Grenzen, Tabus, Führung zu arbeiten. Keine Leckerlis, kein Lob (und wenn, dann nur gaaaaanz ruhig), keine Aufregung. Ruhige, bestimmte Energie. 

 

So wurden Nup und ich doch nach einiger Zeit ein Team. Cesar Millan war damals mein Begleiter. Ruhe, Energie, Führen. Dazu Bewegung, Disziplin, Zuwendung. Passte perfekt!

 

Dann die Arbeit von Maja Nowak, Anita Balser und die Lehren der Rudelstellungen… Dies brachte mich auf den Punkt und ich begann plötzlich , ganz vieles (vorallem meinen Hund!) zu verstehen.

 

Dieser Hund war und ist für mich einfach ein mega Teaching. Und er spiegelt mich gnadenlos. Bin ich unruhig, ist er es auch. Bin ich gelassen, ist er es auch. Bin ich geerdet, nimmt er mich an und arbeitet 100% mit. Und hey, das Tolle ist: in den Jahren mit ihm, bin ich so dermassen geerdet geworden, dass wir ein Dreamteam geworden sind und alle Leute, die Nupri kennenlernen, schwärmen von diesem Traumhund. Selbst Leute, die Hunde nicht mögen, gar Angst haben - alle lieben Nupri! 

Er ist ein grundguter Kerl. Mit einem top Charakter. Den es zu verstehen gilt. 

 

Ein guter Freund, der Nup auch schon von Welpe an kennengelernt hatte und sich ebenfalls, wie ich, sehr für das Leben der nordamerikanischen Indianer interessiert, meinte bei meiner Beschreibung des Hundes: "das ist ein Heyoka" Ein Clown, einer, der gegen den Strom schwimmt, einer, der nicht ans System angepasst ist. Viel Spass mit ihm, von diesen, auch Menschen, die so denken, braucht es mehr!" Ja, das war wirklich treffend! 

 

Nupri und ich wurden ein Team. Und zwar ein richtig gutes Team! Zusammen mit Kylja, nach ihrem Tod auch ohne sie. 2 Heyokas haben sich gefunden und verstehen sich! Danke Nupri für all deine Geduld und Deine wertvollen Teachings! Wir haben noch viele schöne Jahre gemeinsam verbracht und Nupri wurde zum grössen Lehrer für mich, mein Team, meine Kunden... Und er hat als Zentralhund / Teamplayer immer wieder aufs Neue bewiesen, wie hochsozial und kompetent er war. Er konnte andere Hunde so gut lesen und konnte vielen helfen, resozialisiert zu werden. Manche Welpen hat er "erzogen", viele ungestüme Jungspunde zur Ruhe gebracht, vielen unsicheren Hunden Führung und Sicherheit gegeben. 

 

Leider ist auch Nupri im Jahr 2023 im Alter von 16.5 Jahren auf die grosse Reise gegangen. Danke für alles, kleiner Heyoka! Wir werden Dich und Deine Lehren niemals vergessen! Mitakuye Oyasin.